Die aktuelle COVID-19-Krise birgt das Risiko, dass Investoren aus Drittstaaten versuchen, EU-Unternehmen speziell im Gesundheits- und Forschungssektor (z.B. Produktion von Medikamenten, medizinischer Ausrüstung, Impfstoffentwicklung) oder auch infolge der Krise unterbewertete Unternehmen aus anderen Sektoren zu erwerben.
Die Europäische Kommission hat daher am 25. März 2020 Leitlinien zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen (C(2020) 1981, ABlEU v. 26.3.2020, C 99 I/1) veröffentlicht, die darauf abzielen, kritische europäische Vermögenswerte und Technologien zu schützen.
Ziele und Inhalte der Leitlinien
Mit dem Inkrafttreten der Foreign Direct Investment Screening Regulation (VO (EU) 2019/452, ABlEU v. 21.3.2019, L 79 I/12) wird zwar ab 11. Oktober 2020 ein harmonisierter Rahmen für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen gelten. Bis dahin möchte die Kommission mit ihren Leitlinien sicherstellen, dass es nicht zu einem „Ausverkauf“ strategisch wichtiger europäischer Unternehmen kommt und ein starker, EU-weit einheitlicher Ansatz verfolgt wird.
Die Leitlinien rufen die Mitgliedstaaten explizit dazu auf, im nationalen Recht existierende Überprüfungsmechanismen umfassend zu nutzen bzw. solche Überprüfungsmechanismen einzurichten, wenn und soweit solche noch nicht vorhanden sind.
Im Wesentlichen handelt es sich bei den Leitlinien um eine kompakte Darstellung des Spektrums möglicher Maßnahmen speziell im Kontext der aktuellen Krisensituation (von der Untersagung über Auflagen bis hin zur Möglichkeit sog. „goldener Aktien“) sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich aus Art. 63 ff. AEUV und der EuGH-Judikatur ergeben.
Betont wird dabei z.B. insbesondere auch, dass selbst Investments in kleine Start-up-Unternehmen strategische Bedeutung haben können und dass nach der Rechtsprechung des EuGH gegenüber Investoren aus Drittstaaten u.U. Maßnahmen gerechtfertigt sein können, die dies gegenüber EU-Investoren nicht wären (vgl. EuGH, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774, Rn. 171).
Bewertung
Das Risiko, dass strategisch und ökonomisch wichtige EU-Unternehmen in der aktuellen COVID-19-Krise von Investoren aus Drittstaaten übernommen werden, ist nicht von der Hand zu weisen (man denke nur an die aufsehenerregenden Gerüchte um ein angebliches Übernahmeangebot von Donald Trump auf das Biotech-Unternehmen Curavec oder an die Diskussionen um mögliche Übernahmen europäischer Unternehmen durch chinesische Investoren).
Aktuell existieren jedoch nur in 14 Mitgliedstaaten (darunter auch in Deutschland [AWG, AWV]) bereits spezielle Überprüfungsmechanismen (https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2019/june/tradoc_157946.pdf), die zudem teils recht unterschiedlich ausgestaltet sind.
Ein EU-weit einheitlicher und konsistenter Umgang mit ausländischen Direktinvestitionen, der einerseits einen „Ausverkauf“ strategisch und ökonomisch wichtiger EU-Unternehmen verhindert, anderseits aber gewährleistet, dass die EU weiterhin grundsätzlich offen für Investitionen bleibt, ist daher von fundamentaler Bedeutung.
Insofern ist der Grundansatz der Leitlinien der Kommission als Vorgriff auf die im Oktober in Kraft tretende FDI Screening Regulation nachdrücklich zu begrüßen.
Allerdings handelt es sich nur um unverbindliche Leitlinien, sodass es letztlich davon abhängen wird, ob und wie die einzelnen Mitgliedstaaten diese umsetzen und wie effektiv sie dabei zusammenarbeiten. Die richtige Balance zwischen effektiver Kontrolle und ökonomisch kontraproduktiver Abschottung zu finden, wird nicht einfach sein. Zudem besteht die Gefahr, dass Investoren aus Drittstaaten versuchen, „Schlupflöcher“ in weniger streng kontrollierenden Mitgliedstaaten auszunutzen oder einzelne Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen. Umgekehrt könnten aber auch einzelne Mitgliedstaaten versucht sein, mögliche Folgen für den EU-Binnenmarkt insgesamt auszublenden und einzig auf ihre eigenen Interessen zu achten.
Prof. Dr. Jessica Schmidt, LL.M. (Nottingham)
The current COVID-19-crisis harbors the risk that investors from third countries attempt to acquire EU companies especially in the health and research sector (e.g. production of medicines, medical equipment, vaccine development) or companies undervalued because of the crisis.
Hence, on 25 March 2020, the European Commission has issued guidelines for the screening of foreign direct investments (C(2020) 1981, OJ of 26.3.2002, C 99 I/1) which aim at protecting critical European assets and technology.
Goals and contents of the guidelines
The Foreign Direct Investment Screening Regulation (Regulation (EU) 2019/452, OJ of 21.3.2019, L 79 I/12) will provide a harmonized framework for the screening of foreign direct investment as of 11 October 2020. Until then, with these guidelines, the European Commission wants to prevent a sell-off of strategic European undertakings and ensure a strong EU-wide approach.
The guidelines explicitly call upon the Member States to make full use of existing screening mechanisms or to set-up such screening mechanisms, if and to the extent such do not yet exist.
Basically, the guidelines provide a compact outline of the spectrum of potential measures (from prohibition to imposing conditions to the possibility of so-called “golden shares”) as well as of the legal framework provided by articles 63 ff. TFEU and the jurisprudence of the CJEU.
Inter alia, the guidelines emphasize in particular that even investments into small start-ups may be of strategic importance, and that pursuant to the jurisprudence of the CJEU, restrictions for third country investors may be justified which would not be justifiable for EU-investors (cf. CJEU, Test Claimants in the FII Group Litigation, C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774, para. 171).
Assessment
The risk that, in the current COVID-19-crisis, strategically and economically important EU companies could be acquired by investors from third countries cannot be denied (just recall the sensational rumours about an alleged takeover offer for the biotech company Curavec by Donald Trump or the discussions about potential takeovers of European undertakings by Chinese investors).
However, national screening mechanisms are currently only in place in 14 Member States (including Germany [AWG, AWV]) ((https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2019/june/tradoc_157946.pdf) and they are designed rather differently.
An EU-wide, uniform and consistent approach to foreign direct investment, which on the one hand prevents a “sell-off” of strategically and economically important EU companies, and, on the other hand, ensures that the EU remains open to foreign investment, thus is of paramount importance.
Hence, the basic approach of the Commission’s guidelines in anticipation of the FDI Screening Regulation is to be warmly welcomed.
However, as the guidelines are not binding, it will ultimately depend on whether and how the individual Member States will implement them and how effectively the Member States will work together. Finding the right balance between effective control and economically counterproductive isolation will not be easy. Moreover, there is the danger that third country investors will try to exploit “loopholes” in Member States which do not screen as rigorously as others or to play off Member States against each other. Conversely, some Member States might be tempted to disregard potential consequences for the EU internal market as whole and focus exclusively on their own interests.