Mit ihrer – von Anfang an höchst umstrittenen – Initiative zu nachhaltiger Corporate Governance möchte die Kommission nicht nur eine harmonisierte Regelung zu Sorgfaltspflichten in Bezug auf die Lieferkette schaffen, sondern vielmehr darüber hinaus auch die Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitungen (directors‘ duties) ganz generell harmonisieren. Konkret wird insbesondere erwogen, dass die Unternehmensleitungen bei ihrer Entscheidungsfindung die Interessen eines relativ weit gefassten Kreises von Stakeholdern berücksichtigen müssen; zudem ist die Einrichtung von Mechanismen zur Einbeziehung von Stakeholdern angedacht (zum Ganzen bereits J. Schmidt BB 2021, 1923, 1929 f.).
Nachdem ein erster Entwurf bereits im Frühjahr vom Ausschuss für Regulierungskontrolle gestoppt worden war, sollte nun eigentlich am 8. Dezember 2021 eine überarbeitete Version präsentiert werden. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle hat jedoch auch zu dieser überarbeiteten Version eine negative Stellungnahme abgegeben – das kommt selten vor. Die Kommission ist jedoch offenbar nicht bereit aufzugeben; ein dritter Versuch soll nun wohl im März 2022 unternommen werden.
Bevor eine derart tiefgreifende Harmonisierungsmaßnahme ernsthaft in Angriff genommen wird, ist es in der Tat unabdingbar, einige zentrale Fragen – die hier nur angedeutet werden können –
(nochmals) eingehend zu analysieren und zu debattieren.
Erstens: Besteht in Europa in dieser Hinsicht tatsächlich ein Problem?
Zweitens: Kann eine Verpflichtung auf den Stakeholder Value dieses Problem wirklich lösen?
Drittens: Ist es möglich, die maßgeblichen Stakeholder-Interessen und wie sie zum Ausgleich zu bringen sind, in einem unionsrechtlichen Rechtsakt so klar zu definieren, dass die Umsetzung für die
Unternehmen praktikabel ist und vor allem so, dass nicht mehr wirtschaftliche Nachteile und die Gefahr einer Instrumentalisierung zu fremden Zwecken entstehen?
Nur wenn sich all diese Fragen klar mit Ja beantworten lassen, ist eine solche Harmonisierungsmaßnahme geboten. Dies wird indes von vielen Experten mit sehr guten Gründen bezweifelt …
Prof. Dr. Jessica Schmidt, LL.M.
With its initiative on sustainable corporate governance – which has been highly controversial from the start – the Commission not only wants to create a harmonised framework for supply chain due diligence, but rather also to harmonize director’s duties in general. Specifically, it is considered to require the directors to take into account the interests of a rather wide array of stakeholders in their decision-making; in addition, the establishment of mechanisms for the engagement of these stakeholders is being considered (see in more detail already J. Schmidt BB 2021, 1923, 1929 f.).
After a first draft was stopped by the Regulatory Scrutiny Board in the spring, a revised version was scheduled to be presented on December 8, 2021. However, the Regulatory Scrutiny Board has also issued a negative opinion on this revised version – something previously almost unheard of. However, the Commission does not appear to be ready to give up; a third attempt will presumably be undertaken in March 2022.
Before such a far-reaching harmonisation measure is seriously embarked upon, it is indeed essential to (again) analyze and debate some key issues (which can
only be briefly touched upon here).
First: is there really problem in the EU in this regard?
Secondly: Can such a stakeholder value approach really solve this problem?
Thirdly: Is it possible to define the relevant stakeholder interests and how they should be balanced so clearly in EU legislation that the implementation is practicable for companies and, above
all, in such a way that it does not entail more economic disadvantages or the risk of being instrumentalised for extrinsic purposes?
Harmonising legislation is only necessary if all these questions can be answered clearly with yes. However, many experts have, for very good reasons, voiced serious doubts in this respect ...